Veröffentlicht auf dem Blog der Deutschen Telekom: https://www.telekom.com/de/blog/499634-499634
Als wäre die Berufsfindung nicht ohnehin schon schwer genug, machen sie die Umwälzungen in der Arbeitswelt – aktuelle wie zukünftige – noch schwerer. Aufgrund von Digitalisierung prophezeite etwa eine Oxford-Studie jüngst den Wegfall der Hälfte aller Jobs in den USA in den nächsten zehn bis 20 Jahren. Andererseits geht aus einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor, dass hierzulande bis zum Jahr 2025 rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, zugleich aber rund 1,5 Millionen neu entstehen.
Es stellt sich die Frage: Sind wir eher Zeuge der Digitalisierung als Part der Vollbeschäftigung oder eines Aussterbens von Arbeit?
Vorweg: Es zeichnet sich immer mehr ab, dass ein Verschwinden von Arbeit nicht eintreten wird. Ich denke, es wird sich mittelfristig vielmehr eine Zweiteilung der Arbeitswelt vollziehen. Betrachtet man die Jobs innerhalb der Digitalisierungsglocke, kommt man schnell auf all jene Berufsbilder, die durch das besagte D-Wort hervorgerufen werden: Etwa der Job des Data Scientists, sowohl als eigenständiger Job als auch horizontaler Skill, den jeder zumindest rudimentär beherrschen sollte. Oder der Job des Software- und Algorithmen-Entwicklers. Bei letzteren wird zwar ein Großteil der Arbeit durch Maschinen erfolgen, aber die kreative Leistung der Kombination verschiedener Code-Gewerke und Algorithmen wird eine wichtige, kreative und vor allem menschliche Domäne bleiben.
Entscheidungen durch Menschen
Designer und Ingenieure werden als Berufe einen elementaren Wandel erleben: User centered Design oder die Arbeit in subtileren Bereichen, wie Farbgebung oder Formatentwicklung: Design wird ein Kernjob der Zukunft sein! Zudem werden – weniger im Kontext der Produktion als für Innovation und Entwicklung – Menschen notwendig sein, die technologische Innovation vorantreiben. Kreativität, Coaching und systemisches Denken werden wichtiger, als die Fähigkeit zum Maschinenbauen.
Basierend auf dem Fakt, dass die weltweit wertvollsten Unternehmen mit immer weniger Mitarbeitern auskommen, ergibt sich zwangsläufig eine Mehrzahl an Unternehmen und somit ein Mehrbedarf an Führungskräften. Das war vor einigen Jahrzehnten noch anders. In den Bereichen Corporate Development, Innovation und Quality Management wird es für Menschen, die verschiedenste Fähigkeiten vereinen, anspruchsvolle Aufgaben geben. In diesem Zusammenhang wird die Relevanz einer ethischen Ausbildung immer bedeutender. Standardisierte Aufgaben werden ohnehin abgegeben. Es bedarf daher Menschen als Supervisoren von Maschinen und ethischen Anker in Grenzfällen, welche KI und Digitalisierung bedingen können. Auch, wenn die technischen Möglichkeiten irgendwann vorhanden sein werden muss zum Beispiel auf juristische Ebene muss die Hoheit über Recht, Verfassung und Rechtsprechung in menschlicher Hand liegen.
Die Erfüllung all dieser Anforderungen wird aber nicht ohne eine grundlegende Transformation der Bildung auskommen. Die Förderung von Kreativität und der Fähigkeit zur Zusammenarbeit, Debatte und zum Diskurs müssen in den Hochschulen gefördert werden und ein formales Lernen als Massenbetrieb ersetzen.
Menschliche Beziehungen im Fokus
Gänzlich anders geartete Jobs, deren Entwicklung und Ausprägung aber mitnichten losgelöst von der Digitalisierung betrachtet werden dürfen, sind im sozialen Bereich angesiedelt. Für eine gesellschaftliche Integration müssen wir dringend die Mensch zu Mensch Kommunikation optimieren und menschlichen Beziehungen noch viel mehr Beachtung als bisher schenken.
Diese These zahlt auf eine Vielzahl von Berufsbildern ein, die sich entweder sehr verändern oder zumindest einen neuen Stellenwert erlangen werden. Nehmen wir den Bereich Erziehung und Pflege: Hier werden ganze Bereiche automatisiert, aber neue Bedürfnisse und der steigende Bedarf an Mensch zu Mensch-Interaktion wird, meiner Meinung nach, dazu führen, dass diese Berufe in nicht allzu ferner Zukunft das gesellschaftliche Renommee erlangen, was ihnen eigentlich schon heute zustünde.
Die steigende Zahl von „Menschennetzwerken“ wird zwangsläufig auch zu mehr Konflikten und Spannungen führen. Dieser Umstand und die eigene Rollenfindung wird für einige Menschen immer schwieriger werden. Denn beides erfordert einerseits Unterstützung durch Psychologen und Coaches, wird aber andererseits auch für ein Erstarken der soziologischen Forschung sorgen.
Rückkehr zum Handwerk
Die Sehnsucht nach Tradition, nach Geschichte, nach Haptischem ist – und das ist der dritte Part – Basis für eine Renaissance des Handwerks. Handwerk heißt im Wortsinn: Das Erschaffens von Dingen mit der eigenen Hand. Dies steht als Gegenpol zur Digitalisierung und wird somit wieder wichtiger. Ich glaube, dass das Handwerk durch Digitalisierung zwar einen grundlegenden Wandel, aber keine Erosion erleben wird. Handwerk wird das Prinzip der menschlich erschaffenen Arbeit in Vollendung weiterführen. Produkte aus Manufakturen werden einen besonderen, teils künstlerischen, Stellenwert erleben und Ausdruck eines bereits jetzt existenten Faibles für ehrliche Handarbeit sein.
Zeitgleich bin ich davon überzeugt, dass der Konsum an Kulturgütern in jeder Form zunehmen wird – wenn Menschen mehr Zeit und vor allem Muße haben, sich diesen Dingen zu widmen. Hier werden künstlerische Angebote auf hohe Nachfrage stoßen und insofern mehr Menschen die Ausübung kreativ-küstlerischer Fähigkeiten ermöglichen.
Letztlich gilt für alle genannten Gruppen die übergeordnete Überlegung, dass Menschen sich weit weniger über den eigenen Job definieren werden. Eine gewisse ökonomische Stabilität wird natürlich immer wichtig sein, aber das Streben nach einem monetären Mehr wird insgesamt abnehmen. Wir alle haben nur begrenzte Ressourcen, weshalb die Verschiebung der Relevanzen zu anderen Arbeitsmodellen führen wird. Das Bewusstsein, dass der 20. Schuh im Regal nicht so glücklich macht, wie ein Abend mit Freunden, wird auch die Arbeitswelt nachhaltig verändern.
Über den Autor:
Reza Moussavian leitet den Bereich Digital & Innovation im Personalressort, der einerseits die Digitalisierung von HR vorantreiben soll, sowie übergreifend die (digitale) Zusammenarbeit und Innovationsfähigkeit im Konzern. Davor hat er bei PWC, IBM und Detecon Investoren und Telko-Unternehmen in Ost-Europa, Mittlerer Osten und Afrika in der Internationalisierung des Footprints bzw. Unternehmens-Transformation beraten und begleitet. Neben der digitalen Innovation gilt seine Leidenschaft dem Hobby als Salsa-DJ.