Digital Business Strategy, Interviews

Prof. Marcel Fratzscher: Ein Ausblick auf die Realwirtschaft

Prof. Marcel Fratzscher
Ph.D. (Präsident), Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Professor für Makroökonomie und Finanzen an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied des Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft. Zuvor war er u.a. für die Europäische Zentralbank (EZB) und als Makroökonom beim Harvard Institute for International Development (HIID) in Jakarta, Indonesien, tätig. Seinen Ph.D. in Volkswirtschaftslehre erhielt er vom European University Institute in Florenz (Italien), zuvor hatte er an der University of Oxford (B.A. PPE) und der Harvard University’s John F. Kennedy School of Government in Cambridge (Master of Public Policy) Studien abgeschlossen.
Im Vorfeld zur Rethink! Corporate Finance Minds sprach we.CONECT mit Marcel Fratzscher über die aktuelle Lage der Weltwirtschaft und die Auswirkungen der europäischen Geldpolitik im unternehmerischen Kontext.

we.CONECT: Wie bewerten Sie die momentane Lage der Weltwirtschaft im Hinblick auf Unternehmensfinanzierung und Unternehmensinvestitionen?

Prof. Marcel Fratzscher: Wir sehen große widersprüchliche Trends in den Rahmenbedingungen für private Investitionen. Zum einen sind die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft nach wie vor durchwachsen. Vor allem die hohe Volatilität in Finanzmärkten, wie wir kürzlich erst in China erfahren konnten, schafft Unsicherheit und schädigt das Vertrauen der Unternehmen. Zum anderen sind die Finanzierungsbedingungen jedoch nach wie vor enorm günstig für Unternehmen.

Was wird auf uns zukommen? Wie wird sich das Wachstum für Unternehmen im deutschsprachigen Raum weiterentwickeln?

Europa befindet sich noch immer in der Krise. Die Wachstumserwartungen für die Eurozone und auch für Deutschland sind moderat, jedoch gleichzeitig auch zu schwach um Beschäftigung aufzubauen, Risiken und Verschuldung abzubauen und einen nachhaltigen Wachstumsimpuls zu setzen.

Welche Reformen für mehr Wachstum und Beschäftigung erachten Sie als nötig? Oder an welcher Stelle sollte es weniger Regulierungen geben?

Die schwachen privaten Investitionen sind die Achillesferse der deutschen und der europäischen Wirtschaft. Dies liegt an vielen Faktoren – Probleme im Finanzsektor einiger Länder, ein zunehmender Fachkräftemangel in anderen, einer hohen Unsicherheit, falsche Regulierung, zu hohe bürokratische Hürden und eine immer schwächer werdende öffentliche Infrastruktur. Die Politik, gerade in Deutschland, ist in der Pflicht, die Rahmenbedingungen dringend deutlich zu verbessern.

Wie wird sich die europäische Geldpolitik auf Unternehmen auswirken?

Die Geldpolitik der EZB ist weiterhin sehr expansiv und gibt maximale Unterstützung an Unternehmen, die Kredite aufnehmen wollen. Trotzdem haben viele Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen in Südeuropa, nach wie vor Probleme an ausreichend zuverlässige Finanzierung zu kommen. Das Signal der EZB ist klar – die Geldpolitik wird wohl auch in den nächsten 3 – 4 Jahren weiterhin sehr expansiv bleiben.

Wo sehen Sie neue Innovationsfelder für die deutsche Wirtschaft und mit welchen gezielten Maßnahmen kann die Politik die Unternehmen dabei unterstützen?

Die Politik muss attraktive Rahmenbedingungen setzen und vorsichtig sein, keine verfehlte Industriepolitik machen zu wollen. Die deutsche Volkswirtschaft ist vergleichsweise sehr abhängig von innovativen Sektoren und Produkten. Daher sollte die Politik vor allem stärkere Anreize für Forschung, Entwicklung und Innovation setzen. Dazu gehört auch eine explizite Förderung von jungen Unternehmen, die nach wie vor in Deutschland häufig benachteiligt werden.

Vielen Dank für das Interview!
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