Ich beschäftige mich seit meinem Studium in den 1990er Jahren mit dem Thema Kostenrechnung. Auf der Uni war das ein Thema, bei dem die meisten schreiend davongelaufen sind – eigenartigerweise hat es mir immer Spaß gemacht. Vielleicht war es die Tatsache, vor einem komplexen Problem zu stehen und am Schluss zu sehen, dass alle Zahlen zusammenpassen, die mir dieses Gefühl vermittelt hat.
Als ich nach meinem Studium bei der Strategie-Beratung McKinsey angeheuert habe, war mein erstes Projekt eine Zielkosten-Studie für ein produzierendes Unternehmen. Die Zielkosten für 2008 – damals noch im nächsten Jahrtausend – waren ein ebenso exotisches wie spannendes Thema, dem ich mich 6 Monate mit viel Leidenschaft gewidmet habe. Danach hatte ich ca. 10 Jahre wenig mit Kostenrechnung zu tun, bis ich die Chance bekam, bei FACTON einzusteigen – als Geschäftsführer und Mitgesellschafter. Relativ rasch bemerkte ich, dass sich in diesen 10 Jahren eine Menge getan hat. Auch wenn sich die Methodiken und Begriffe wie BAB, Zielkosten oder Investitionsrechnung nicht geändert hatten, waren sowohl der Detailgrad der Kalkulationen als auch die Menge an Daten, die man elektronisch verarbeiten konnte, dramatisch gestiegen. Eine Reaktion auf Globalisierung und steigenden Wettbewerb – aber auch eine Folge der technologischen Möglichkeiten, die Unternehmen wie nicht zuletzt FACTON den Kalkulatoren an die Hand gaben.
In den darauffolgenden, also den vergangenen 10 Jahren, hat sich der Fortschritt weiter beschleunigt. Zunächst ging es darum, Kosten im gesamten Unternehmen konsistent und nach einheitlichen Standards zu kalkulieren. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber da es für die Kostenrechnung kein IFRS, kein US GAAP oder HGB gibt, muss jedes Unternehmen entsprechende Regeln für sich definieren. In Zeiten global agierender Firmen und steter Akquisitionen stellt dies eine Herausforderung dar, die ohne ein System, das alle Bereiche und Regionen zu einem Standard zwingt, kaum zu bewältigen ist.
Die nächste Herausforderung ist die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Bereichen. Die Entwicklung weiß, wie die Produkte in 3, 5 oder vielleicht sogar 10 Jahren aussehen werden. Der Einkauf kennt die aktuellen Preise oder die von später benötigten Zukaufteilen ganz genau. Der Vertrieb muss Angebote erstellen, die kostendeckend sind und bleiben, auch wenn sich Umfeld-Parameter verändern – und dann will der (Groß)Kunde immer öfter die Grundlage für die Kalkulation verstehen. Das erfordert die Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg – mit besonderen Anforderungen an die Qualität der Daten. All diese Informationen sind, sofern verfügbar, eine hervorragende Basis für die Finanzabteilung, um Szenarien zu simulieren und zukünftige Ergebnisse zu prognostizieren. Im Idealfall bekommt das Management solche Analysen – und nicht rückwärtsgewandte Zahlen aus der G&V und der Bilanz aus dem ERP System – um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen auf Basis solcher Informationen sind nicht zuletzt Anforderungen, um den stetig steigenden Compliance-Vorschriften (Sorbanes-Oxley) genüge zu tun. Excel Spread Sheets, von denen übrigens 88 Prozent nicht fehlerfrei sind, genügen da schon lange nicht mehr.
Doch damit nicht genug. Die Anforderungen an den Kalkulator steigen ständig weiter. Neue Materialen verlangen nach neuen „Cost Models“ um zu verstehen, welche Zykluszeiten für verschiedene Fertigungsschritte benötigt werden. Bisher untergeordnete Komponenten, wie zum Beispiel Embedded Software, muss bei der Kostenschätzung berücksichtigt werden. Vermietung statt Verkauf erfordert die Berücksichtigung von Betriebskosten – der Spritverbrauch ist bei einem vom Hersteller betriebenen Carsharing Modell auf einmal nicht mehr nur ein regulatorischer oder Marketing-Wert, sondern ein echter Kostenfaktor, so wie auch die Kosten für Ersatzteile. Schließlich übertreffen die Betriebskosten die Produktionskosten deutlich über den Lebenszyklus.
Wir fragen uns fast täglich, was der Kalkulator der Zukunft benötigt, um in einer solchen Welt weiterhin erfolgreich zu sein und sicherzustellen, dass sein Arbeitgeber wettbewerbsfähig ist und der Endkunde ein günstiges Produkt bekommt. Größere Datenmengen, neue Cost Models, längere Stücklisten – das ist klar. Langfristig wird das aber nicht reichen. Eine Option die wir sehen ist, die Daten, die heute schon Millionenfach in Kalkulationssystemen wie FACTON gespeichert sind, dazu zu nutzen, mit Zustimmung jedes Einzelnen ein System zu trainieren, das mittels künstlicher Intelligenz schneller und besser rechnen kann – zumindest für Routineaufgaben. Dann könnten sich die immer schwerer zu findenden Experten auf anspruchsvolle Aufgaben und Innovationen konzentrieren. Ist das heute schon realistisch? Sicher nicht. Aber eine spannende Vision, für die mein Team und ich jeden Tag gerne aufstehen.
Über den Autor:
Alexander M. Swoboda, Dipl.-Kfm., ist seit über 15 Jahren in den unterschiedlichsten Funktionen im internationalen Finanz- und Strategiebereich tätig, unter anderem bei der Siemens AG, bei der Unternehmensberatung McKinsey und als Associate Partner eines österreichischen Venture Capital Fonds. Bei der FACTON GmbH war Alexander M. Swoboda zunächst als CFO und COO tätig. Seit 2015 hat er die Funktion des Chief Executive Officers inne.