Digital Business Strategy, Interviews

Konferenzen leiten – Ein Interview mit Henry Fuchs

Henry Fuchs
Geschäftsführer, we.CONECT Global Leaders GmbH

Besprechungen leiten, Arbeitsgruppen moderieren, Sitzungen chairen – drei Kompetenzen, die sich ergänzen und geeignet sind, die jeweilige Besprechungsart erfolgreich zum Ziel zu führen. In der Praxis finden sich noch weitere Meetingformate, bei denen Leitung gefragt ist. Die wohl bekannteste ist die Konferenz. Die klassische Variante einer Konferenz: Einige hundert Menschen versammeln sich in einem Konferenzzentrum und lauschen über ein bis zwei Tage hinweg mehr oder weniger spannenden Vorträgen. Mittlerweile jedoch haben neue Anbieter dieses von vielen als langweilig empfundene Format aufgebrochen und um vielfältige, abwechslungsreiche und für die Teilnehmer gewinnbringende interaktive Formate ergänzt. Aber auch diese modernen Konferenzformen benötigen eine Leitung – und damit jemanden mit besonderen Kompetenzen und einer Menge anspruchsvoller Aufgaben.

Martin Hartmann: Herr Fuchs, Sie sind einer der Geschäftsführer eines Unternehmens, das auch Business Events, Business Communities und Konferenzen anbietet. Ihr Unternehmen arbeitet und experimentiert dabei mit vielfältigen Formaten, angefangen von klassischen Vorträgen bis hin zu anspruchsvollen interaktiven Begegnungs-und Austauschforen – und diese sowohl ›Face-to-Face‹ als auch elektronisch. In allen Ihren Veranstaltungen findet sich jedoch eine verantwortliche Konferenzleitung, eine Tätigkeit, die auch Sie gelegentlich noch ausüben. Wie muss man sich die Tätigkeit eines solchen Konferenzleiters vorstellen? Was macht sie oder er genau?

Henry Fuchs: Vielleicht erst einmal zur Begrifflichkeit: Den Konferenzleiter, um den es in Ihren Fragen geht, nennen wir ›Co-Chair‹. Das ist der Tatsache geschuldet, dass auf unseren Konferenzen meistens eine bekannte, hochrangige Persönlichkeit aus der Branche als Chair agiert und vor allem in den Fragerunden nach einzelnen Fachvorträgen aktiv wird.

Und – erlauben Sie mir noch eine zweite Vorbemerkung: In dem Augenblick, in dem unser Co-Chair seine Veranstaltung eröffnet, hat er einen großen Teil seiner Arbeit für diese Konferenz schon hinter sich. Als Experte einer Branche – beispielsweise ›Automotive‹ – hat er schon monatelang die aktuellen und spannendsten Trends, beispielsweise zum ›assistierten Fahren‹ recherchiert, mit ausgewiesenen Fachexperten aus der Industrie oder der Wissenschaft gesprochen, gleichzeitig den Bedarf möglicher Konferenzteilnehmer eruiert und so eine Veranstaltung bestehend aus Vorträgen, aber immer auch aus vielfältigen interaktiven Komponenten konzipiert, für die er sich in sämtlichen Belangen verantwortlich fühlt.

Und dann geht es endlich los!

Korrekt. Und zwar mit einer Menge an unterschiedlichen Aufgaben. Da ist erst einmal die Eröffnung der Konferenz vor bis zu 1.000 Zuhörern. In einer kurzen und prägnanten Präsentation zeigt unser Co-Chair seine Fachkompetenz bezogen auf das Thema der Veranstaltung, stellt sich als das ›Gesicht‹ unseres Unternehmens dar und empfiehlt sich als vertrauensvoller Ansprechpartner für sämtliche großen und kleinen Anliegen von Teilnehmern und Fachgästen.

Präsentieren ohne Lampenfieber vor großen und sehr großen Gruppen – damit geht es los.

Na, ja: Ein bisschen Lampenfieber ist schon noch da, wenn Sie von über hundert Top-Frauen und -Männern kritisch unter die Lupe genommen werden. Aber viel Zeit zur Reflexion bleibt erst einmal nicht. Unser Co-Chair moderiert zudem die gesamte Veranstaltung: Redner werden vorgestellt und Fragerunden wollen geleitet werden – für die Fälle, bei denen kein Chair aus der Industrie anwesend ist. Und er führt inhaltlich und methodisch in die interaktiven Workshopformate ein, die er mitentwickelt hat, und sorgt so dafür, dass sie möglichst anregend und ergebnisreich ablaufen.

Moderiert er dabei auch kleinere Workshops selbst?

Wenn auf einer Konferenz beispielsweise am ersten Tag nachmittags mehrere Kurzworkshops stattfinden, hat unser Co-Chair diese sowohl thematisch als auch methodisch sorgfältig vorbereitet. Zudem hat er die unterschiedlichen Moderatoren – meistens ausgewiesene Fachexperten zum Thema – methodisch eingewiesen. Und, da haben Sie Recht, immer wieder wird er auch selbst in solch einem Kurzworkshop moderierend aktiv, beispielsweise wenn ein geplanter Moderator ausfällt.

Und die verbleibende Zeit verbringt er sicherlich nicht mit Müßiggang?

Auf keinen Fall: Dadurch, dass der Co-Chair auf und hinter der Bühne den gesamten Event inhaltlich und organisatorisch, aber auch unser Unternehmen vertritt, muss er über ein hohes Maß an Networking-und kommunikativen Kompetenzen verfügen. So kommt es beispielsweise häufig vor, dass Kunden direkt den Kontakt suchen, Ideen einbringen, Vorschläge für Verbesserungen haben oder schlicht und einfach sich freuen, mit einem Verantwortlichen vom Unternehmen in Kontakt treten zu können.

Ein Co-Chair muss grundsätzlich die nötige Souveränität mitbringen, das Unternehmen und das Produkt, also die gesamte Veranstaltung, überzeugend und glaubhaft zu vertreten. Ach ja: und dies gleichermaßen professionell einem Eventteilnehmer, Hochschulprofessor oder gar Vorstandsmitglied eines Dax-Unternehmens gegenüber. Und dazu aus eigener Erfahrung: Zehn Minuten Small Talk mit einem Vorstandsmitglied können ganz schön herausfordernd sein.

Wo wir schon bei Herausforderungen sind: Was sind besonders schwierige und herausfordernde Situationen auf einer Konferenz für den Konferenzleiter?

Schwierige Situationen entstehen häufig dann, wenn aus irgendwelchen Gründen die ›Architektur‹ des Events durcheinander gerät. Beispielsweise bei Absagen von Sprechern oder Moderatoren. Diese Situationen sind zwar Daily Business, treten aber meistens erst kurz vor dem Event auf. Sagen Sprecher ab oder kommen unerwartet nicht, muss schnell gehandelt und souverän kommuniziert werden.

Vielleicht noch ein besonderes Ereignis: Es war der Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 auf Island – zwei Tage vor unserem Event. Die Hälfte der Sprecher, 20 Prozent der Teilnehmer und einige Sponsoren konnten nicht kommen. Wir wussten zum Teil auf der Veranstaltung überhaupt nicht, wer denn nun kommen würde. Letztlich konnten wir einige Sprecher per Video zuschalten. Zusätzlich haben wir Teilnehmer auf dem Event gefragt, ob sie kurzfristig Roundtablesitzungen moderieren würden. Zu jeder Phase dieser Veranstaltung haben wir offen den ›Pegelstand‹ der Ab- und Zusagen kommuniziert. Am Ende hatten alle Teilnehmer Verständnis für die Situation. Mehr noch, sie hatten sich alle ordentlich ins Zeug gelegt und so dazu beigetragen, dass diese Veranstaltung eine der interaktivsten und erfolgreichsten wurde und unserem Co-Chair noch lange im Gedächtnis blieb.

Fachliche Kompetenz, was das Thema der Konferenz angeht – wie viel? Wie tief? Wie hilfreich?

Wie schon eingangs erwähnt: Unsere Co-Chair sind niemals bloße Organisationsverantwortliche für den reibungslosen Ablauf einer Veranstaltung. Sie haben den Event sorgfältig inhaltlich geplant und konzipiert. Lautet das Thema beispielsweise ›assistiertes oder autonomes Fahren‹, so können sie mit sämtlichen Anwesenden über Trends und Entwicklungen auf Augenhöhe kommunizieren. Sie müssen gar nicht selbst aus der Branche kommen, müssen auch keine Experten für Detailprobleme sein – dazu sind die Referenten da. Sie müssen aber ein ›Händchen‹ für die – auch fachlichen – Wünsche und Bedürfnisse möglichst aller Anwesenden haben. Letztlich sind sie diejenigen, die auf der Konferenz Menschen mit anderen Menschen zusammenbringen, und zwar in einer Weise, die für sämtliche Beteiligten von Nutzen ist. Und diesen Nutzen können unsere Co-Chairs überzeugend kommunizieren.

Diese Form der fachlichen Kompetenz beeinflusst die Wahrnehmung unseres Unternehmens durch die Kunden. Partner, Sponsoren, Referenten und Teilnehmer erfassen sehr schnell, ob ein Veranstalter lediglich die Infrastruktur, sprich das Hotel, Essen, Licht und so weiter stellt oder ob der Veranstalter das Thema, das alle interessiert, verstanden und als nutzbringenden Event aufbereitet hat. Und – da agiert der Co-Chair auch langfristig: In allen Gesprächen sondiert er stets Bedürfnisse und Themen für die Weiterentwicklung seines Produkts.

Ein Co-Chair beschäftigt sich also auch mit der Weiter- und Neuentwicklung von Konferenzformaten. Was bedeutet das genau?

Ein Co-Chair hat neben der Betreuung des Events die Aufgabe, vor Ort mit allen relevanten Kunden und Partnern, aber auch Sprechern und Moderatoren über die Weiterentwicklung des Events oder gar einer Eventserie zu sprechen. Im Fokus steht dabei die zukünftige inhaltliche Ausrichtung, die Weiter- und Neuentwicklung von Formaten und natürlich die Optimierung des Veranstaltungsnutzens durch ein 360°-Feedback aller Anwesenden. Dass ein guter Co-Chair dabei auch die Anbahnung und Weiterentwicklung strategischer Partnerschaften mit wichtigen ›Playern‹ der Branche oder des Themenbereichs im Auge hat, versteht sich von selbst.

Sprechen wir über methodische Kompetenzen: Ein guter Co-Chair kann vieles?

Wir haben es sicherlich mit Multitalenten auf hohem professionellen Niveau zu tun. Vor allem muss er seine Kompetenzen situationsangemessen schnell parat haben. Dazu gehören Leitungs- und Moderationskompetenzen. Gerade das Moderieren von Sessions, Streams oder eines ganzen Events vor einer Gruppe mit über 1.000 Teilnehmern benötigt sicherlich einiges an Training, ist aber wichtig für den Erfolg einer derartigen Veranstaltung. Weiterhin sollte ein Co-Chair das Einmaleins des Präsentierens beherrschen – mündlich wie auch in der schriftlichen Variante. Um den Beteiligten beispielsweise neuartige Formate erklären zu können, sollte man in der Lage sein, diese auch visuell entsprechend aufzubereiten und darzustellen.

Wenn ich an Kommunikationsfähigkeiten denke, fällt mir sofort das Stichwort ›Persönlichkeit‹ ein. Ein seriöser, souveräner, in sich ruhender, aber immer auch zuvorkommender Auftritt ist sicherlich von Vorteil, wenn man mit absoluten Top-Leuten, wie beispielsweise diversen Vorständen oder eben mit Wissenschaftlern mit Weltruf auf einer Bühne steht. Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass dabei Showallüren nicht helfen. Hier hilft vor allem Authentizität.

Und noch eine Kompetenz möchte ich erwähnen: Nennen wir sie ›ein gutes Händchen haben im Umgang mit den großen und kleinen Katastrophen‹, die auftreten können, wenn viele Menschen mit hohen Erwartungen und Ansprüchen zwei Tage lang auf überschaubarem Raum miteinander agieren.

In einem klassischen Meeting – denken wir nur an die Montagsbesprechung mit Leitung und einigen wenigen Teammitgliedern – darf immer etwas schiefgehen. Anders bei einer Konferenz. Und dennoch: Der Teufel ist ein Eichhörnchen! Was waren denn Ihre ganz persönlichen Katastrophenerlebnisse und wie sind Sie damit umgegangen?

Zwei Geschichten, an die ich mich noch gut erinnere: Geplant war der erste Vortrag einer Veranstaltung durch einen mit Spannung erwarteten Geschäftsführer eines weltweit agierenden Beratungsunternehmens. Noch vor dem ersten Satz stolpert unser Redner unglücklich und nimmt dabei den stationären Beamer mit, der danach nicht mehr zu benutzen war. Ein Albtraum, wenn man bedenkt, dass die Veranstaltung gerade erst angefangen hat. Ich konnte dem Herren aufhelfen und dabei – ihm war zum Glück nichts geschehen – mit ihm abklären, dass er eine für den zweiten Tag geplante Liveumfrage vorzieht, bis ein neuer Beamer einsatzbereit sei. Soweit so gut. Kaum war ich aus dem Vortragssaal raus, hat der extern eingekaufte Techniker mit einem Kollegen telefoniert und relativ drastisch unseren Vortragenden als Trottel deklariert, was dieser wiederum in Ansätzen mitbekommen hatte. Was tun? Da half nur, die volle Verantwortung zu übernehmen und sich überzeugend zu entschuldigen. Natürlich gab es auch eine kleine Wiedergutmachung, die genauso wichtig wie das ›Die-kümmern-sich-um-mich-Gefühl‹ ist. Das ist manchmal gar nicht so leicht.

Auch der zweite Fall war sehr heikel: Ein Vorstandsmitglied eines sehr großen Unternehmens, der zwar sein punktgenaues Erscheinen telefonisch angekündigt hatte, dann allerdings ohne Warnung mit einem extrem hohen Promillewert auf dem Podium ›stand‹ und losredete. Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Was dann kam, war nur noch peinlich: Die Ausführungen passten nicht zu den Charts, das gesamte Auftreten führte zu verwunderten Blicken, hämischem Getuschel und peinlichem Räuspern im Publikum. Wir haben dann mutig einen passenden Moment abgewartet, die Präsentation ausgeschaltet und mit Hinweisen auf die fortgeschrittene Zeit eine wertschätzende Abmoderation vorgenommen und den nächsten Redner auf die Bühne gebeten. Dieser, alle weiteren Redner und die vielen interaktiven Sessions haben den unangenehmen Start in diese Veranstaltung vergessen gemacht. Schwierig war für mich das folgende Gespräch mit dem Vorstand im Laufe des Tages. Wir haben konsequent vermieden, über das Malheur zu sprechen.

Vielen Dank für dieses Interview.

Dieses Interview ist ein Auszug aus:

Martin Hartmann, Alexander Zoll, Rüdiger Funk
Mini-Handbuch Meetings leiten
Besprechungen, Arbeitstreffen, Telefonmeetings und Videokonferenzen souverän vorbereiten und durchführen

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