Interviews, Smart Manufacturing & Industry 4.0

Fraport: Auf dem Weg zu Leadership 4.0

Susanne Jung
Senior Vice President HR Top Executives, Fraport AG

Im Vorfeld zur Rethink! HR Tech 2017 sprach we.CONECT mit Susanne Jung, SVP HR Top Executives bei Fraport. Susanne Jung ist derzeit verantwortlich für das strategische HR Management der Top Führungskräfte des Fraport Konzerns. In dieser Funktion gehört es zu ihren Aufgaben, den gesamten „Lebenszyklus“ einer Führungskraft bei Fraport zu begleiten – von der Rekrutierung, Compensation & Benefits, der Entwicklung, bis hin zur strategische Nachfolgeplanung. Darüber hinaus gehört die Lean Management-Implementierung sowie die Organisationsentwicklung für den Konzern zu ihrem Verantwortungsbereich (d.h. Aufbauorganisation und Change Management).

we.CONECT: Auf der HR Tech 2017 präsentieren Sie die Case Study: „Iterativ und digital den Anforderungen der VUCA-Welt begegnen. Fraport AG auf dem Weg zu Leadership 4.0“. Was versteht die Fraport AG unter der VUCA-Welt?

Susanne Jung: Immer schon haben technische Entwicklungen spezifische Anforderungen an Führungskräfte gestellt z.B. mit der Einführung des mechanischen Webstuhls und der ersten industriellen Revolution. Heute stehen wir an der Schwelle zur nächsten revolutionären Phase, der so genannten Industrie 4.0. Noch hat ein Großteil der Unternehmen die bisherige Digitalisierung nicht verdaut, da steht die Vernetzung der physischen Welt mit dem Internet an. Damit bewegen wir uns hin zu einer von Hyperkonnektivität geprägten Ökonomie. Treiber für diese Entwicklung bleibt die Digitalisierung.

Mit welchen Anforderungen sehen sich Führungskräfte heute konfrontiert?

Zunächst einmal, dass sie Anforderungen von vielen Seiten her ausgesetzt sind. Anforderungen, die sich aus dem veränderten Marktumfeld in Folge der Digitalisierung ergeben (diese Anforderungen lassen sich sehr gut mit dem Akronym VUCA beschreiben) und zweitens Anforderungen, die sich aus den innerorganisationalen Gegebenheiten als Reaktion auf die Digitalisierung ergeben.

Bezogen auf volatile brauchen wir Führungskräfte, die der Unsicherheit zum Trotz beziehungsweise als Antwort auf zunehmende Unberechenbarkeit eine Vision formulieren und kommunizieren können. Wo wollen sie in drei bis fünf Jahren mit ihrem Verantwortungsbereich stehen? Dies gilt es für jede Abteilung zu beantworten. Je schneller sich das Umfeld verändert, desto wichtiger wird ein Zielbild. Nur so bleiben Führungskräfte handlungsfähig, können Chancen und Risiken strategisch bewerten und aufzeigen, worauf ihre Entscheidungen einzahlen; selbst dann, wenn diese widersprüchlich erscheinen.

Je mehr eine Führungskraft ihr Umfeld versteht, desto besser kann uncertainty aufgelöst werden. Dafür ist eine offene, neugierige Haltung gepaart mit der aktiven Beschäftigung mit anderen Ansätzen, anderen Vorgehensweisen, neuen Kundenbedürfnissen etc. notwendig. Ein „always on“-Lernmodus wird erfolgskritisch.

Complexity, also eine Vielzahl interdependenter Faktoren, die schwer verstehbare, chaotisch erscheinende Ursache-Wirkungszusammenhänge auslösen, kann zu großer Verunsicherung bei Mitarbeitern und Führungskräften führen. Führungskräfte reagieren auf solche Zusammenhänge schnell konfus oder versuchen, einfache Lösungen zu generieren, die auf Erfahrungen beruhen. Komplexität kann aber nur mit Komplexität begegnet werden! Führungskräfte müssen einüben, verschiedene Ansichten und Ansätze aktiv einzuholen, in Zusammenhängen zu denken und kollaborativ zu agieren.

Unklare Situationen (ambiguous) können unterschiedlich interpretiert werden. Dies ist anstrengend für Mitarbeiter und Führungskräfte und löst insbesondere in ausdifferenzierten, hochgradig strukturierten Organisationen Stress aus. Führungskräfte tendieren dazu, ambivalente Situationen zu vermeiden – das Gegenteil wird jedoch zukünftig erfolgskritisch sein. Nur offenes Sprechen über Ambivalenzen erlaubt es, die Bedrohungen und Opportunitäten zu bewerten und zu nutzen. Sie zu nutzen heißt: Beobachten, rasch starten, Fehler machen, daraus Lernen (Prototyping). Ambivalenzen lösen sich nur im “Machen” auf.

Neben den Anforderungen, die der VUCA-Welt entstammen, sprechen wir von Anforderungen, die aus dem Inneren der Organisation resultieren. Zwei Aspekte haben eine besondere Relevanz für die Führungskräfte: Die unterschiedlichen Handlungsgeschwindigkeiten in einer Organisation und die „4-Generationen-Mitarbeiterschaft“.

Was sind aus Ihrer Sicht heute wichtige, spezifische Leadership-Kompetenzen?

Selbstverständlich können und müssen Führungskräfte auf bewährte Management- und Leadership-Kompetenzen aufbauen. Doch Leadership-Kompetenzen gewinnen eine größere Relevanz, da sie mit den Komponenten Selbstreflexion, Selbstmanagement, Inspiration und Beziehungsmanagement auf visionäre und gestaltende Anforderungen eine adäquatere Antwort finden. Gleichwohl sind auch auf Ordnung und Perfektion ausgerichtete Management-Kompetenzen erfolgskritisch. Diese müssen mit Leadership-Kompetenzen gut ausbalanciert werden. Ob daneben Anleihen aus einem situativen, transaktionalen oder transformationalen Führungsansatz entnommen werden, ist aus meiner Sicht abhängig vom jeweiligen Führungskontext.

Zentral ist aus meiner Sicht, ein agiles mindset, digitale Kompetenzen und eine klare Kundenorientierung.

Inwieweit beeinflusst das Verhalten einer Führungskraft die Mitarbeiterbindung? Wie kann die Führungskraft auf die anstehenden Herausforderungen vorbereitet werden?

Ich bin der Überzeugung, dass diese zwei Erkenntnisse nach wie vor stimmen: a) Menschen verlassen kein Unternehmen, sondern eine Führungskraft und b) Talente brauchen kein Talent Management, sie managen sich selbst. Daher: Selbstverständlich beeinflusst Führungsverhalten Mitarbeiterbindung, wie könnte es nicht.

Wie können Führungskräfte vorbereitet werden? Ich meine, nicht mehr mit einer Art „Führungsprogramm“, das man einmalig durchläuft und das der Illusion Vorschub leistet, danach „könne“ man führen. Bei Fraport haben wir bewusst keinen programmatischen Ansatz gewählt. Wir haben uns dafür entschieden, unterschiedliche Maßnahmen zu kombinieren, die zunächst nicht sichtbar miteinander gekoppelt sind. Jede Maßnahme hat ihre eigene Stoßrichtung und erzielt in ihrer Vernetzung mit anderen Maßnahmen die notwendige Kraft für erste erfolgreiche, evolutionäre und vor allem auch souveräne Entwicklungsschritte.

Letztlich ist es eine Reise für die gesamte Führungsmannschaft, die über eine Vernetzung des Fühlens, Denkens und Handelns jeder Führungskraft und der Organisation Antworten auf die Anforderungen der VUCA-Welt ermöglichen sollen.

Was sind die zukünftigen Trends/Herausforderungen des Human Resources Management?

HR steht vor der Herausforderung, die neuen Möglichkeiten SINNVOLL einzusetzen und in eine gute Balance mit klassischen Tools der Personalarbeit zu bringen. Dazu benötigt HR aber vor allem selbst hohe digitale Kompetenzen.

Welche Rolle spielt Industrie 4.0 bzw. Digitalisierung in Ihrer HR Abteilung?

Wir verstehen uns als Enabler, der die verschiedenen Initiativen unterstützt, Wissen bereitstellt, mit modernen Methoden vorweg geht. Und natürlich gehen wir selbst, immer da wo es möglich ist, auch technisch selbstneue Wege.

Wie kann intern ein richtiges Bewusstsein für die notwendigen digitalen Veränderungen geschaffen werden?

Es muss in einem vielschichtigen Prozess überall angesetzt werden, wo sich Chancen auftun. D.h. auch hier wieder: kein Programm, sondern ein offenes Ohr und ein offener Verstand seitens HR, um jede Möglichkeit für Bewusstseinswandel und Vermittlung von Wissen zu fördern.

Welche Personalpolitik verfolgen Sie in den nächsten 12 Monaten?

Wir werden konsequent weiter an unserer Führungskräfteentwicklung arbeiten, d.h. vor allem an der Qualität der Menschen, die bereits bei uns sind.

Vielen Dank für das Interview!
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